Bereits als Kind und noch vor meiner ersten Physikstunde im Gymnasium, stellte ich mir die Frage, ob die Farbe Rot von allen Menschen gleich "gesehen" wird. Ob es möglich ist, dass die Farbe Rot von einer anderen Person als beispielsweise "blau" gesehen wird. Dieser Gedankengang beschäftigte mich sehr. Ich versuchte eine Antwort auf dieses Gedankenspiel zu finden. Meine Erkenntnis jedoch war, dass es fast unmöglich ist eine befriedigende Antwort zu finden. Stell Dir vor: Kind A sieht einen Farbfleck, dessen Farbpigmente seinem Gehirn den Impuls senden, diesen als "blau" wahrzunehmen. Kind B sieht denselben Farbfleck, jedoch verarbeitet sein Gehirn den Farbimpuls so, dass es den Farbfleck als "gelb" wahrnimmt. Gleichwohl wird beiden Kindern durch die Eltern oder Bezugspersonen gelehrt, dass es sich bei genau diesem Farbfleck um die Farbe "Rot" handelt. Zu einem späteren Zeitpunkt, wenn beide Kinder erneut denselben Farbfleck entdecken, werden sie beide von "Rot" sprechen, obwohl Kind A "blau" und Kind B "gelb" wahrnimmt. Sie werden sich kaum je die Frage nach der eigenen Wahrnehmung dieses Farbfleckens stellen, da sie mit dem Begriff "Rot" vom selben sprechen und somit ihre Kommunikation einwandfrei sichergestellt ist. Es ist nicht das Wahrnehmen der Farbe, sondern der Konsens des Sprachgebrauchs, der hier für den Menschen von Bedeutung ist.
Rund 20 Jahre später fällt mir spontan mein Gedankenspiel wieder ein, als ich das Kapitel "Bewusstsein über die Entstehung unserer Realität" im Buch von Daniel Hess «Glücksschule - Sechs Ansätze für einen grundlegenden Wandel in Schule und Gesellschaft» las:
"Wenn ein Mensch eine Brille mit blauen Gläsern trägt, dann erscheint ihm die ganze Welt als blau. Und wenn fast alle Menschen eine solche blaue Brille tragen würden, dann würden sie sich darauf einigen, dass die Welt einfach blau ist - das gälte dann als die Realität, als normal und als richtige Sichtweise. Vielleicht würden dann einige Menschen, von denen die meisten auch die blaue Brille tragen würden, ihre Realität erforschen, die sie als blau erfahren, und immer mehr Gesetze und Zusammenhänge über die Welt herausfinden - das wären dann die Wissenschaftler. Ihre Forschungen aber und alle ihre Erkenntnisse wären immer vom Blick durch die blaue Brille geprägt." (Hess 2019, S.57).
Stell Dir nun vor: diese blaue Brille stellt Wissen dar. Dementsprechend wäre das "Blausehen" erlernbar. Da es sich nun um erlernbares Wissen handelt, würden in Folge die Erziehung, Schulen und Medien dem Mensch von Kind an beibringen, wie aus dessen Sicht die Realität ist, bis die Kinder die so erlernte blaue Brille genauso als normal und einzig richtige Wahrheit ansehen würden, wie ihre Eltern, Lehrpersonen und Vorbilder. Als Erwachsene würden diese Kinder dieses erworbene Wissen und somit diese Realität selbstverständlich und mit voller positiver Absicht genauso unbewusst an ihre Kinder weiter geben…(vgl. Hess 2019, S. 57).
In unserer Gesellschaft gibt es keine solche blaue Brille. Die Wissenschaft hat allerdings beim Erforschen unseres Wahrnehmungsprozesses eine ähnlich wie diese blaue Brille funktionierende Komponente gefunden. Diese Komponente besteht primär aus bewussten und unbewussten Überzeugungen und bestimmt,
wie die Dinge gesehen werden
was für möglich gehalten wird
wer man glaubt zu sein und
wie Ereignisse interpretiert werden.
Abstrahiert gesagt, bestimmt diese Komponente die Realität, die erlebt wird. Diese Komponente wird über Erziehung, Sozialisierung, Bildung und Medien vermittelt und so an die nächste Generation weitergegeben. Es ist Tatsache, dass der Mensch sich mit seiner Sicht der Dinge identifiziert und sonach auf diesem Wissen seine Identität aufbaut. De facto ist es für den Menschen nahezu existenziell, seinen Nachwuchs und dessen Identität durch dieses Wissen genauso einzugrenzen und zu definieren (vgl. Hess 2019, S.58).
Hess vergleicht bildlich das Gehirn eines Babys als eine leere Festplatte. "Auf dieser Festplatte werden fortlaufend diverse Programme von den Eltern, Bezugspersonen, Lehrern und von den Medien kopiert. Diese Programme bestehen auf der mentalen Ebene vor allem aus Überzeugungen und auf der körperlichen Ebene aus unterdrückten Emotionen und Blockaden. Die meisten dieser Programme werden implizit, das heisst unbewusst kopiert und auf der Festplatte installiert. Wir programmieren also unsere Kinder weitgehend unbewusst mit den gleichen inneren Begrenzungen, in denen wir gefangen sind. Und aufgrund dieser Programme erschaffen wir uns die in weiten Teilen gleiche Realität wie die Generation vor uns und geben diese selbstverständlich und voller positiver Absichten an unsere Kinder weiter." (Hess 2019, S. 58-59).
Infolgedessen verliert der Mensch im Verlauf seiner Kindheit den Kontakt zu seiner ursprünglichen Einheitsrealität. Sie ist der Zugang zum ursprünglichen Zustand des bedingungslosen Glücks, welche auf der angeborenen Intuition, worauf auch das Vertrauen ins Leben aufgebaut ist, basiert. Zentrale Merkmale der Einheitsrealität sind:
Bedingungslose Liebe und Selbstliebe
Meditative Zustände mit Flow-Erfahrungen
Totale Präsenz im Hier und Jetzt
Grundvertrauen
Freiheit: Eigene Integrität, selbstbestimmtes Leben und eigenverantwortliches Handeln
Offene und transparente Kommunikation (gewaltfreie Kommunikation)
Neugierde, Offenheit, Unbeschwertheit und Spontanität
(vgl. Hess 2019, S. 31-52)
Die Verbindung zur Einheitsrealität wird sodann durch eine geschulte Trennungsrealität ersetzt. Zumindest ist dies in der westlichen Gesellschaft so, um - angesichts des Ziels einer gemeinsamen "Lebensbasis" zu schaffen - die Welt möglichst mit den Augen des Kollektivs wahrzunehmen. Die Trennungsrealität ist die Realität eines erwachsenen Menschen. Diese Realität ist geprägt von Anstrengung, Angst, Suche nach Antworten, Macht, Kampf, Leid und Eifer nach absolutem Wissen (vgl. Hess 2019, S.81 f.). Dabei ist es in der westlichen Gesellschaft gerade das Gedankengut des Behaviorismus (erforscht und erklärt das Verhalten von Menschen und Tieren nur mit naturwissenschaftlichen Methoden. Dabei beschränkt sich ein Behaviorist auf das von außen objektiv beobachtbare Verhalten als Reaktion auf Reize. Die Introspektion wird abgelehnt.) und der calvinistischen Wertvorstellung (welche im Wissen der Gralsbotschaft ohnehin vom Menschen falsch ausgelegt wird) "kein Lohn ohne Leistung" der dieser erwachsenen Trennungsrealität zugrunde liegt (Passend dazu mein Beitrag "Ohne Schulnoten zum bedingungslosen Grundeinkommen"). Und gerade weil Erwachsene in dieser von der Dualität geprägten "trennenden" Realität leben, glauben sie zu wissen, was richtig und falsch, was wichtig und unwichtig ist, ohne zu erkennen, dass diese Realität einzig auf die Konsequenz von Lernprozessen zurückzuführen ist. Würde der Mensch andere Begebenheiten erleben, würde sich ihm eine andere Realität zeigen. Ergo kann die eigene Wahrnehmung eines Menschen, welche dessen Realität suggeriert, nur eine relativen und gewiss nie der absoluten Wahrheit entsprechen (vgl. Hess 2019, S.58).
AHA-Erlebnis zum Ersten
Es kann festgehalten werden, dass bewusste und unbewusste Überzeugungen, d.h. Wertvorstellungen, also Gedanken, die eigene Wahrnehmung beeinflussen und somit die Realität konstruiert, die erlebt wird. Kurzgefasst:
"Wir erschaffen unsere eigene Realität"
Prof. Dr. Fred A. Wolf - Physiker
Fazit: Ich bin selbst dafür verantwortlich in welcher Realität ich lebe.
Die Realität und das Glück
Mit der erlernten Trennungsrealität erfährt der Mensch nun einen Zustand, in welchem das Glück an Bedingungen geknüpft ist:
...WENN ich mich im Job bemühe, DANN habe ich Erfolg
...WENN ich im Job erfolgreich bin, DANN verdiene ich mehr
...WENN ich mehr Geld haben, DANN kann ich mir die Ausbildung, die gewünschte Tasche, die lang ersehnten Urlaubsdestinationen,…ermöglichen
...WENN ich das erreicht habe, DANN bin ich glücklich(er)...
Hess (2019, S.27) schreibt dazu: "Die Werbung verspricht uns Tag für Tag neue, glückverheissende Produkte. Wir besuchen Kurse, suchen nach einem neuen Job, einem neuen Partner oder einer neuen Partnerin, lesen Bücher, besuchen Therapien und vieles mehr. Immer in der Hoffnung, danach glücklich oder zumindest glücklicher zu sein."
Ja, der Mensch - wir alle und jeder Erdengast will glücklich sein. Obgleich wir die unterschiedlichsten Konzepte und Strategien für das Glück haben, letztendlich ist doch das tatsächliche Ziel unserer Existenz stets das Glücklichsein. Es stellt sich somit die Frage, ob der Mensch (in der westlichen Gesellschaft) mit all den Errungenschaften der letzten 300 Jahren, beispielsweise mit dem materiellen Wohlstand, mit dem wie Sand am Meer gesammelten Wissen (aka Big Data) und der immer zunehmenden Digitalisierung, die das Menschenleben immer mehr beschleunigt, wirklich glücklicher geworden ist. Geh für einen Tag – ja, auch ein halber Tag reicht – in eine Grossstadt und beobachte das Treiben der Menschen: Viele wirken total absorbiert und beschäftigt mit ihren kleinen, digitalen Geräten. Viele wirken gestresst, gehetzt, genervt und gar unzufrieden. Zur ganz frühen Morgenstunde oder nachdem die Rushhour der Geschäftigen vorbei ist, kann man Menschen beobachten, die an Einsamkeit oder Depression leiden oder solche die ihre Zuversicht gänzlich verloren haben. Da frage ich mich schon, ob wirklich mehr Glücklichsein vorhanden ist. Doch warum scheinen die Menschen nicht glücklich zu sein? Das Phänomen liegt darin, dass die meisten von uns fast ausschliesslich in der Zukunft anstatt im Hier und Jetzt leben. Folglich bleibt uns gar keine Zeit, dem Glücklichsein Raum zu geben, stattdessen jagen wir ständig dem "Glücklichwerden" hinterher.
"Weil wir so viel wissen, was passieren könnte, nicht passieren darf oder unbedingt passieren muss, können wir nicht mehr einfach spontan, offen und frei das leben, was unser Herz zum Jubeln bringt, in diesem jetzigen Moment.[...]. Immer wenn wir uns mit Gedanken identifizieren, welche die Worte "sollte" oder "müsste" beinhalten, sind wir weg vom jetzigen Moment und das Tor zum Leiden öffnet sich weit." (Hess 2019, S.184)
Dadurch dass einerseits die Trennungsrealität in uns Erwachsenen so verinnerlicht ist und andererseits, dass in dieser Realität der allgemeine Konsens so wichtig ist, wurde sie bis jetzt von vielen Menschen nicht als solche wahrgenommen. Einzig und alleine die Suche nach dem Glück, d.h. die Anwendung diverser Strategien, um glücklicher zu werden, gibt ein Indiz, dass die Menschen indirekt doch "etwas" in Frage stellen. Ein Wandel in der Gesellschaft ist stark zu spüren. Je offener ich dieses Thema anspreche, merke ich Menschen um mich herum erwachen (gerade solche die Kleinkinder haben, da Kinder diesbezüglich unsere besten Lehrer sind). Sie realisieren, dass "etwas" nicht stimmt und entdecken Schritt für Schritt, wie einfach es sein könnte, wirklich glücklich zu sein.
Laotse - ein chinesischer Philosoph des 6. Jahrhunderts v. Chr. - soll einmal gesagt haben: "Die Weisen hören und sehen wie kleine Kinder." (vgl. Hess 2019, S.29)
Beobachtest und studierst du Kinder, welche in ihrer unendlichen Fantasiewelt spielen, erkennst Du genau, dass sie in einer anderen Realität leben. In solchen Momenten kann man beobachten, dass sie vollends glücklich sind.
Wird so nicht klar, dass jeder von uns für seine eigene Realität und somit sein eigenes Glück verantwortlich ist?
AHA-Erlebnis zum Zweiten
"Du ziehst nicht an was du willst, du ziehst das an wovon du glaubst, dass es wahr ist."
Neville Lancelot Goddard
Jetzt verstehe ich endlich auch das Zitat von Goddard, welchem ich schon mehrmals begegnet bin.
Ich meinerseits habe die ersten Schritte zum wirklich glücklicher zu sein (nicht werden!) getan. Ich hatte den Mut meinen langen Arbeitsweg, welcher mich sehr belastete, endlich aufzugeben, ohne mich in der Spirale des "wenn-dann" zu verstricken. Ich habe den Mut gefasst neue Wege zu gehen. Auch wenn es sich manchmal mulmig anfühlt, sich ins Ungewisse zu begeben, verspüre ich wahres Glück. Mut verleiht eine unheimliche Kraft und Energie. Gleichzeitig bin ich Vorbild für meine Tochter, indem ich das umsetze, was ich sage und nicht in Wenn-Dann-Träumereien hängen bleibe.
(An dieser Stelle auch ein Herzens-Dank an Sandra, die mir diesbezüglich die Augen öffnete).
Es scheint mir mehr als "vernünftig" zu sein, sich vermehrt und bewusst in Flow-Zustände zu begeben, um den Kontakt zur Einheitsrealität wiederherzustellen und so das eigene, bedingungslose Glück (das nicht aus Konsum oder Sachwerten besteht) zu finden. Diese Flow-Zustände lassen mehr im Leben erkennen als manch studierter Erwachsene durch wissenschaftliche Erkenntnisse erforschen kann.
Letztlich beginnt das Glück mit Dir. Erkenne und bewahre es.
Eva Eland
Herzlichst
Nadine
Quellenangabe von Bücher und weiterführende Links/Bücher:
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