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Ohne Schulnoten zum bedingungslosen Grundeinkommen

Meinen letzten Beitrag zum bedingungslosen Grundeinkommen betitelte ich mit der Frage "Ist die Zeit reif für ein bedingungsloses Grundeinkommen?". Erst durch einen auf der Plattform der Petition "Bedingungsloses Grundeinkommen für die Schweiz für die nächsten 6 Monate" gelesenen Kommentar fiel mir auf, dass ich die Frage im Grundsatz nicht im Geringsten beantwortet habe. Gleichzeitig erlebte ich mein so geliebtes AHA-Erlebnis.

Als langjährige Befürworterin des Konzepts des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE), war ich schon immer überzeugt, dass ein Katalysator nötig ist, um die Unumgänglichkeit dafür in der Gesellschaft sichtbar zu machen. Nun ist ein solch möglicher Katalysator vorhanden und die Gesellschaft diskutiert, im Zusammenhang der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Krise, rege über die Notwendigkeit und Möglichkeit eines BGEs. Mir wird aber von Tag zu Tag bewusster, dass das grundlegende Konzept von Vielen und gerade von denen, die es zurzeit vorschlagen, noch nicht wirklich verstanden wurde. Folglich wird die Begrifflichkeit eines BGEs im falschen Kontext verwendet. Oder gar als Label für finanzielle Unterstützungen missbraucht, welche dem Konzept eines BGEs absolut nicht gerecht werden und somit kein BGE darstellt. Wieso? Ein sogenanntes BGE, das auch nur im Geringsten an irgendwelche Bedingungen geknüpft ist, ist folglich nicht bedingungslos und verfehlt die Absicht der Wirkung. (Wie ich auch im Nachtrag zum letzten Beitrag "Ist die Zeit reif für ein bedingungsloses Grundeinkommen?" ausgeführt habe). Nur ein konsequent umgesetztes BGE - und damit meine ich ein Grundeinkommen, welches an keinerlei Bedingungen geknüpft ist, um das Einkommen effektiv von der Arbeit zu entkoppeln - kann die soziale Integration aller Menschen herbeiführen.


Für mich war das Konzept des BGEs bis anhin die logische Folge der weltweit fortgeschrittenen wirtschaftlichen Spezialisierung, Automatisierung sowie Digitalisierung und damit verbundene drohende Höhe der Arbeitslosigkeit, welche ohne erhebliches quantitatives Wirtschaftswachstum nicht mehr finanzierbar sein wird - wie auch Precht kurz und bündig begründet: Richard David Precht - Bedingungsloses Grundeinkommen. Den Aspekt der kulturellen, gesellschaftlichen und sozialen Werthaltung, die es womöglich ebenfalls für eine allgemeine Akzeptanz eines BGEs braucht, habe ich bis anhin ganz ausser Acht gelassen. Ich habe es verpasst, mir die konkrete Frage zu stellen, was sich grundlegend in der Gesellschaft wandeln müsste, damit ein BGE als selbstverständlich erachtet wird. Und das, obwohl ich mich mit der Bedingungslosigkeit bereits eingehend auseinandergesetzt habe. Sei es die bedingungslose Liebe im Allgemeinen oder die bedingungslose Elternliebe im Zusammenhang des bedingungslosen Erziehungskonzepts von Kindern.


AHA-Erlebnis

Der oben erwähnte Kommentar einer mir nicht bekannten Person auf der Plattform der Petition "Bedingungsloses Grundeinkommen für die Schweiz für die nächsten 6 Monate" löste ein weiteres AHA-Erlebnis in mir aus. Es schlug die Brücke zwischen zwei von mir leidenschaftlich verfolgten Themen: Das bedingungslose Grundeinkommen und die Grundsätze des kindlichen oder eben menschlichen Lernens.

Auf der Plattform las ich folgenden Kommentar:


"Ich glaube, dass eine Gesellschaft, welche von der Wiege auf gelernt hat, dass all ihr Handeln, all ihr Interesse und alle Beiträge mit einer Zahl bewertet wird, Schwierigkeiten haben wird, plötzlich bedingungslos etwas zu erhalten.

SCHAFFEN WIR DIE NOTEN IN DER SCHULE AB!

und vielleicht wächst dann eine Generation von Kindern auf, welche bedingungslos lernt, nicht für eine Note, sondern aus Interesse. Dann kann eine Generation von Menschen heranwachsen, welche bedingungslos arbeitet, nicht für einen Lohn, sondern aus Interesse. Und wenn wir gelernt haben, aus Interesse zu lernen und zu arbeiten, macht auch ein bedingungsloses Grundeinkommen Sinn. Solange wir aber die Schule so gestalten, dass das bedingungslose Grundinteresse der Kinder schon nach wenigen Monaten von der Angst, nicht zu genügen, erstickt wird, sehe ich das bedingungslose Grundeinkommen zum Scheitern verurteilt.

Wer als Kind gelernt hat, dass sein Interesse und sein Handeln bedingungslos geschätzt wird, wird im Berufsleben sein Interesse und Handeln bedingungslos der Gesellschaft widmen, aus einem Zugehörigkeitsgefühl heraus. Dann ist ein bedingungsloses Grundeinkommen die logische Folge davon."


Dieser Kommentar zielt auf die Erkenntnis ab, "dass Belohnungen auffallend unwirksam darin sind, die Qualität der Arbeit oder der schulischen Leistungen von Menschen zu verbessern." (Kohn 2018a: S.42). Weiter führt Kohn aus, dass eine grosse Anzahl von Studien bewies, "dass sowohl Kinder als auch Erwachsene weniger Erfolg bei vielen Aufgaben haben, wenn ihnen eine Belohnung dafür angeboten wird, sie zu erledigen - oder gut zu erledigen." (Kohn 2018a: S.42). Diese Entdeckung war für die Wissenschaftler überraschend, da sie erwarteten, eine Art von Anreiz jeglicher Form für gute Leistungen würde den Menschen motivieren, bessere Leistungen zu erzielen. Etliche Studien haben aber wiederholt gezeigt, "dass Schüler unter ansonsten gleichen Voraussetzungen in der Regel besser lernen, wenn es keine Einsen [Anm.: in der Schweiz Sechser] zur Belohnung gibt - das heisst in Klassen, wo Leistungsbeschreibungen ohne Noten verwendet werden." (Kohn 2018a: S.42). Verblüffenderweise haben Versuche sogar ergeben, dass Anreize nicht nur unwirksam, sondern sogar oft kontraproduktiv sind. So zeigte sich in einem Versuch, dass Kinder, die für eine gute Tat einen Lohn erhielten und später diesen nicht mehr erwarten konnten, weniger oft helfen als Kinder, die von Anfang an keinen Lohn dafür bekamen. (Vgl. Hess 2019: S.139)


Was steckt also dahinter?

Es geht um den Antrieb des Menschen. Anders ausgedrückt: die Motivation des Menschen. Nun gilt es zu beachten, dass es zwei verschiedene Arten von Motivation bei uns Menschen gibt. "Die meisten Psychologen unterscheiden zwischen intrinsischen und der extrinsischen Motivation. Intrinsische Motivation bedeutet im Wesentlichen, dass einem das, was man tut, aus sich heraus Freude bereitet, während extrinsische Motivation heisst, dass man etwas als Mittel zum Zweck tut - um eine Belohnung zu bekommen oder eine Bestrafung zu vermeiden." (Kohn 2018a: S.43). Es ist der Unterschied zwischen dem Schreiben dieses Beitrages, weil ich Dir gerne mein recherchiertes Wissen weitergeben möchte oder weil mir jemand Geld dafür bezahlt. Ich kann Dir versichern, dass es mir hierbei um Ersteres geht und ich dementsprechend intrinsisch motiviert bin, diese Beiträge altruistisch für meinen Blog zu verfassen. Obwohl ich zur Zeit nichts dagegen hätte Beiträge im Auftrag zu schreiben und damit etwas Geld zu verdienen, bestünde doch das Risiko abnehmender Qualität der Beiträge, sowie abnehmendes Interesse, an den Recherchen dazu. Kohn (2018a: S.43-44) begründet dies damit, dass die extrinsische Motivation dazu neigt, die intrinsische zu schmälern. In der Dimension, wie die extrinsische Motivation steigt, sinkt meistens die intrinsische Motivation. "Je mehr jemand dafür belohnt wird, etwas zu tun, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er das Interesse an dem, was er tun musste, um die Belohnung zu bekommen, verliert." (Kohn 2018a: S.43). Zweifellos gibt es zu jeder psychologischen Erkenntnis Eingrenzungen und Ausnahmen, doch die grundlegende Feststellung ist von zahllosen Forschungsarbeiten und Studien an Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und kulturellen Hintergrunds und mit einer Vielzahl unterschiedlichen Aufgaben und Anreizen bewiesen worden. (Vgl. Kohn 2018a: S.41-44; Kohn 2018b: Kapitel 5; Deci et al. 1999)


Auf den gleichen Grundsätzen basiert auch die weltweit bekannte Montessori-Pädagogik. Maria Montessori (*1870; 1952) stellte bereits zu ihren Lebzeiten durch Beobachtungen fest, dass sowohl Belohnungen als auch Strafen schädlich für die innere Einstellung des Menschen sind und dass Kinder ganz natürlich aus Eigenmotivation lernen wollen. Montessori begründete diese Schlussfolgerung, dass es in Tatsache in der Natur des Kindes liegt, am (erwachsenen) Leben teilhaben zu wollen. Mit anderen Worten haben Kinder eine natürlich angeborene intrinsische Motivation zum Lernen. Auf dieser Basis kann die Montessori-Lernmethode wie folgt kurz zusammengefasst werden: Die Methode stellt das Kind und seine Individualität in den Mittelpunkt. Dabei geht es um das Sammeln von eigenen Erfahrungen und aus dem daraus resultierenden selbstständigen Erlernen. Nach dem Leitsatz "Hilf mir, es selbst zu tun!" lernen Kinder frei ohne Behinderung und Wertung. Die Montessori-Pädagogen nehmen dabei eine passive Rolle ein und unterstützen nur lenkend und hinweisend die Lernentwicklung des Kindes. Somit wird die natürliche Freude des Kindes am Lernen gefördert und bestärkt.


Der Hintergrund dazu, dass sowohl Strafe und Belohnung und gerade auch das Lob - als verbale Belohnung - unheilvolle Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung haben, möchte ich in einem künftigen Beitrag genauer untersuchen, erläutern und in Kontext des bedingungslosen Erziehungskonzepts stellen.


Nun zur Antwort: Ist die Zeit reif für das bedingungslose Grundeinkommen?

Mit der als Behaviorismus bekannten Gedankenrichtung (erforscht und erklärt das Verhalten von Menschen und Tieren nur mit naturwissenschaftlichen Methoden. Dabei beschränkt sich ein Behaviorist auf das von außen objektiv beobachtbare Verhalten als Reaktion auf Reize. Die Introspektion wird abgelehnt.) und der calvinistischen Wertvorstellung "Kein Lohn ohne Leistung"(welche im Wissen der Gralsbotschaft ohnehin vom Menschen falsch ausgelegt wird), welche unserer gesellschaftlichen Gesinnung und Verantwortungsbewusstsein zugrunde liegt, wird uns täglich beigebracht, "etwas Gutes müsse man sich stets verdienen und dürfe es niemals geschenkt bekommen." (Kohn 2018a: S.25). Es ist Usus Kinder mit Konsequenzen (Strafen) und Lob (Belohnung), dem sogenannten an Bedingungen geknüpften Erziehungskonzept, gross zu ziehen. Fast jede Interaktion, sogar zwischen Mitglieder einer Familie, wird als eine Art wirtschaftliche Transaktion gesehen. "Die Gesetze des Marktes - Angebot und Nachfrage, wie du mir, so ich dir - haben den Status universeller und absoluter Grundsätze angenommen, als entspräche alles in unserem Leben, einschliesslich unseres Verhaltens gegenüber unseren Kindern, dem Kauf eines Autos oder dem Mieten einer Wohnung." (Kohn 2018a: S.25). Das Gesetz der Wechselseitigkeit scheint ein mühevoll verteidigtes Lebensgesetz vieler Gesellschaften zu sein.

Mit diesem Ausgangspunkt und der aktuellen prekären Situation, bedingt durch die darauffolgenden wirtschaftlichen Ereignisse, besteht die Gefahr, dass eine mögliche Einführung eines BGEs trotz seines Namens an irgendwelche Bedingungen geknüpft werden wird. Und/oder womöglich durch künftige Notrecht-Situationen wieder ausgehebelt werden könnte und so die damit bezweckte Wirkung gänzlich verfehlt. (Gleichwohl muss hier festgehalten werden, dass auch ein BGE mit einwandfreier Umsetzung nicht alle wirtschaftlichen und sozialen Probleme lösen kann - kein Konzept ist absolut vollkommen.)

Folglich bezeichne ich die Zeit noch nicht als reif und sehe die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens gar eher als unvorstellbar und zum Scheitern verurteilt.


Ich glaube dennoch fest daran, dass die Zeit reif ist, sich über den Wandel der Gesellschaft vertieft Gedanken zu machen und mit vielleicht als alternativ empfundenen, aber absolut menschenwürdigen Grundgedanken, wie das bedingungslose Erziehungskonzept und intrinsisch motivierte Bildungskonzepte von Kindern, sowie mit revolutionären Ansätzen, wie eben das BGE, intensiv auseinanderzusetzen.

Denn eines ist klar: Eine Einführung des BGEs wird ein tiefschürfender Paradigmenwechsel in der Gesellschaft sein. Und damit verbunden ist ein Wandel der kulturellen, gesellschaftlichen und sozialen Werthaltungen, die es nun zu überwinden gilt.


Herzlichst

Nadine


Quellenangabe von Bücher und weiterführende Links/Bücher:






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